Vor einigen Jahren wurden im Silvrettagebiet umfangreiche Forschungen betrieben, um Spuren prähistorischer Menschen zu finden. Tatsächlich wurden die Archäologen fündig, zum Beipiel im hinteren Val Urschai, beim Blockstrom in der Nähe der Hütte Marangun. Eine Feuerstelle mit Steingeräten und kalzinierten Knochen konnte in die Zeit von etwa 8500 vor Christus datiert werden. Somit ist unsere Gegend schon vor über 10′000 Jahren von Menschen begangen worden, kurz nach dem Ende der letzten Eiszeit. Die Funde sind somit dopelt so alt wie der bekannte Eismann «Ötzi».
Die Texte auf dieser Seite wurden vom Autor Paul Eugen Grimm verfasst. In seinem Buch über Ftan liest man noch viel mehr über die interessante Geschichte unseres Dorfes.
Das Buch ist in der Libraria Poesia Clozza in Scuol erhältlich.
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Das Buch ist in der Libraria Poesia Clozza in Scuol erhältlich.
Bronzezeitliche Siedlungen aus der Zeit um 1500 vor Christus kennt man aus Ramosch, Scuol und Ardez, aus Ftan bisher noch nicht. Eine Wohnsiedlung muss allerdings bestanden haben, denn auf dem Muot Padnal stehen Reste einer Art Fluchtburg, und auf dem vorderen Hügel Umbrain ist eine gewaltige kreisrunde Mauer mit etwa 20 Metern Durchmesser festgestellt worden, mit grosser Wahrscheinlichkeit ein rätisches Heiligtum. Die ersten schriftlichen Hinweise aus Ftan stammen aus dem 12. Jahrhundert. 1150 erscheint in einer Marienberger Urkunde der Herren von Tarasp ein Rupreht de Vetane. In einer Chronik des Klosters Marienberg im Vinschgau, das ursprünglich in Scuol gestanden hatte, wird ferner vermutet, der Stammsitz der Herren von Tarasp sei in Ftan gewesen, und von hier aus hätten sie dann auf der andern Talseite in der Mitte des 11. Jahrhunderts die Burg Tarasp erbauen lassen.
Die Rechtslage im Unterengadin war im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit reichlich kompliziert, denn es überlagerten sich hier Besitzungen und Rechte der Grafschaft Tirol, des Bistums Chur sowie der Klöster Marienberg und Müstair. Mit Österreich gab es mehrmals militärische Auseinandersetzungen. In der Schlacht von Chalavaina unterhalb von Müstair im Jahr 1499 gelang den Bündnern ein Sieg über das Heer Kaiser Maximilians I. Doch im Zuge dieses Tirolerkriegs (auch Schwabenkrieg genannt) wurden alle Dörfer im Unterengadin niedergebrannt. Während der Bündner Wirren geschah dasselbe nochmals, insbesondere durch die Truppen des österreichischen Obersten Baldiron in den Jahren 1621 und 1622. In den Jahrzehnten nach dieser Katastrophe sind die meisten der heute noch stehenden Engadinerhäuser errichtet worden. 1587 hatte zudem eine Pestepidemie Ftan heimgesucht, wobei vermutlich die Siedlung im Val Tasna aufgegeben wurde.
Nachdem schon 1529 in Lavin und Guarda die reformierte Glaubenslehre eingeführt worden war und kurz danach auch Scuol diesen Schritt getan hatte, entschloss sich 1542 auch Ftan, die Messe abzuschaffen und fortan der reformierten Lehre zu folgen. Viele junge Ftaner ergriffen in der Folge den Pfarrerberuf, den sie in der Heimat oder in andern reformierten Gegenden Graubündens ausübten. Ftan war eine Art Reservoir für reformierte Prädikanten. Einige wurden durch gelehrte Schriften bekannt, so insbesondere Peider Dumeng Rosius à Porta senior mit seiner grossen lateinisch verfassten Reformationsgeschichte. Die 1622 zerstörte Ftaner Kirche wurde bis 1634 wieder aufgebaut, anlässlich der 1654 hier stattfindenden Synode der reformierten Bündner Pfarrer wurde der Chorteil angefügt. 1674 liess Pfarrer Jacob Antonius Vulpius sein Haus in Rontsch erbauen. Zusammen mit seinem Schwager Jacob Dorta übersetzte er die gesamte Bibel ins Rätoromanische und druckte das grosse Werk in Scuol. Es erschien 1679 und erlebte 1743 eine zweite Auflage.
Zahlreiche Ftaner zog es in die Solddienste, vorwiegend nach Frankreich. Im 18. Jahrhundert machte besonders Jon Peider Schmid de Grüneg Karriere, die ihn bis zum Brigadier und zum Feldmarschall führte. In Ftan nannte man ihn schlicht General. Sein Cousin Martin Peider Schmid de Grüneg wurde durch seine voluminöse Chronik „Chiantun verd“ bekannt, aus der wir eine Fülle von Hinweisen auf das alltägliche Leben in Ftan im 18. Jahrhundert erhalten. Neben der Theologie und dem Militär wurde ein weiteres Betätigungsfeld wichtig, jenes der Zuckerbäcker und Cafetiers. Während die Scuoler und Senter vorwiegend nach Italien zogen, betätigten sich die Ftaner auch in Städten Nord- und Osteuropas, in Kopenhagen, Berlin, Danzig, Königsberg, St. Petersburg oder Moskau. In den Jahren zwischen 1798 und 1801 war das Unterengadin ein letztes Mal von fremden Truppen betroffen, französischen oder österreichischen, und im Herbst 1799 zog die schwere Artillerie des russischen Generals Suworow durch das Engadin und war während drei Tagen in Ftan einquartiert.
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein blieb die Landwirtschaft dominant. Es wurde hauptsächlich Gerste und Roggen angebaut, auch etwas Weizen, und immer auch Erbsen, Bohnen, Hanf und Flachs. Ab etwa 1800 verbreitete sich die Kartoffel. Mehrere Mühlen und Stampfen bearbeiteten das Getreide, die noch bestehende rund 400 Jahre alte Mühle ist eine der ältesten im ganzen Alpenraum. Die Wiesen wurden bis in die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg intensiv bewässert, durch ein ausgeklügeltes System von Bewässerungsgräben. In der Viehzucht dominierte bis etwa 1500 das Kleinvieh, also Schafe und Ziegen, dann setzte sich vermehrt die Grossviehhaltung durch und damit die Produktion von Käse, der stets auch exportiert wurde. Die auf der Alp Laret gewonnene Milch wird seit Jahrzehnten durch eine Pipeline in die Käserei im Dorf geleitet. Die Alpen im Val Urschai werden vom Jungvieh genutzt.
1835 wurde das erste Dorfschulhaus gebaut, die Chasa Craista neben dem Friedhof, 1899 wurde das neue Schulhaus eingeweiht, was dank eines bedeutenden Legates von Tönett Schucany möglich geworden war. Seit 1793 bestand ferner das Institut à Porta. Von 1908 bis 1969 gab es eine Sekundarschule. 1913 erhielt Ftan eine eigene Bahnstation, weit unterhalb des Dorfes, die heute Ftan Baraigla heisst. Eine damals geplante Zahnradbahn zum Dorf hinauf wurde nicht realisiert. Eine Postautoverbindung mit Scuol besteht seit 1928. Einige Handwerksbetriebe haben sich im 20. Jahrhundert angesiedelt. Grosse Bekanntheit erlangten Cantienis Nusstorten.
Drei grosse Dorfbrände suchten Ftan heim, und jedesmal betraf die Katastrophe dieselben Dorfteile, Padrus und teilweise Rontsch, und jedesmal waren es um die 50 Häuser. Ftan Pitschen blieb hingegen seit den Zerstörungen durch die österreichischen Truppen von Oberst Baldiron in den Jahren 1621 und 1622 verschont. Am 19. November 1723 brach ein Feuer mitten in der Nacht im Haus eines Schuhmachers in Rontsch aus und verbreitete sich rasch, zerstörte 42 Häuser und erfasste auch den Kirchturm, nicht aber die vom Turm getrennte Kirche. Die vier Glocken schmolzen. Es scheint, dass die Häuser an denselben Orten wieder errichtet wurden, in enger Bauweise und wiederum mit Lärchenholzdächern.
Der Brand in der Nacht vom 25. zum 26. April 1794 brach in Dartuscha aus, durch die Nachlässigkeit einer Magd. Das Feuer erfasste 67 Häuser, den Kirchturm und die vier Glocken, die Kirche blieb verschont. Ausgebrannt wurde auch der Palazi, das Institutsgebäude von Andrea Rosius à Prota, das erst ein halbes Jahr zuvor eröffnet worden war. Die beiden Pfarrer benannten nun ausdrücklich die schuldige Magd und wollten die Katastrophe nicht mehr einfach als Gottesurteil verstanden wissen. Rosius à Porta verfasste eine Druckschrift mit Präventionsvorschlägen, darunter die Bildung einer Feuerwehr, die Anschaffung von Feuerspritzen und sogar die Montage von Blitzableitern, nach der Erfindung des berühmten Gelehrten und Politikers Benjamin Franklin. Für den Wiederaufbau wurden abermals dieselben Grundmauern verwendet, an den Bedachungen änderte sich nichts. Der Kirchturm erhielt ein einfaches Zwiebeldach. Mit grossem Einsatz leitete General Jon Peider Schmid de Grüneg den Wiederaufbau und die Verteilung der von überall eintreffenden Hilfsgelder.
Graubünden galt im 19. Jahrhundert als der Brandkanton schlechthin, unzählige Brände erfassten viele Dörfer in allen Talschaften. 1864 wurde eine obligatorische Gebäudeversicherung eingeführt, 1871 aber wieder abgeschafft. Nach den Dorfbränden von Lavin 1869, Zernez 1872 und Ramosch 1880 und 1881 verlangte der Kanton für Neubauten harte Dächer aus Holzzement, Blech, Ziegeln oder Steinplatten. Als am 23. September 1885 in Fuschina Feuer ausbrach - vermutlich hatten Kinder in einer Scheune mit Streichhölzern gespielt - und die Menschen auf den Feldern beschäftigt waren, trieb der Ostwind dieses rasch weiter, und es fielen in den nächsten Stunden 46 Häuser in Schutt und Asche. Erneut war die Gegend rund um den Dorfplatz betroffen, erneut brannte der Kirchturm aus, erneut wurden die Glocken zerstört, und wiederum wurde die Kirche verschont.
Beim Wiederaufbau des Dorfteils wurden nun grössere Abstände eingehalten, manche Bedachung wurde als flaches Holzzementdach gestaltet, der Dorfplatz wurde wesentlich verbreitert und der Kirchturm erhielt eine doppelte Zwiebel und natürlich vier neue Glocken. Diese wurden teils aus dem Material der alten gegossen und gelten bis heute in ihrem Zusammenklang als ausgesprochen harmonisch.
Während bei Dorfbränden in der Regel keine Todesopfer zu beklagen waren, ist die Situation bei Lawinenkatastrophen oft eine ganz andere. Mehrmals waren Lawinen bis ins Dorf Ftan vorgedrungen, beipielsweise 1682, als sechs Häuser zwischen dem Jordan und Ftan Pitschen zerstört wurden und mindestens vier Menschen den Tod fanden. Doch die grösste Katastrophe geschah am 8. Februar 1720, als eine Lawine durch Padrus bis zum Kirchhügel vorstiess und 35 Menschen in den Tod riss. 25 weitere Verschüttete konnten sich befreien oder wurden lebend geborgen, darunter nach 64 Stunden ein kleines Mädchen. Ein Schwein soll direkt neben einer Kornkiste zu liegen gekommen sein und daher bis zum Frühling überlebt haben. Die Katastrophe wurde als Gottesurteil verstanden, manche sahen als Ursache die Gottlosigkeit der Menschen und ihre schlechten Sozialbeziehungen. Lawinenverbauungen gab es erst viel später. Der 1875 eben nach Bern gewählte Oberforstinspektor Johann Coaz steckte noch im selben Sommer persönlich die Verbauungen im Kessel von Plütschessa aus, die sofort realisiert und später immer wieder verstärkt wurden. So hielten im Lawinenwinter 1999 diese den riesigen Schneemassen stand, während in der Nachbargemeinde Galtür im Paznaun eine Lawine 38 Menschen in den Tod riss.
Wie alle andern Dörfer im Unterengadin lebte Ftan in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich von der Landwirtschaft. Hier an der Engadiner Hauptstrasse, die allerdings diesen Namen nicht verdient, liess sich dazu im Transportwesen Geld verdienen. Doch dieser Zusatzverdienst fiel 1862 komplett weg, als die Talstrasse dem Inn entlang zwischen Ardez und Scuol eröffnet wurde. Wie Guarda war Ftan plötzlich von der Welt abgeschnitten. Als 1888 ein Hochwasser die Talstrasse zerstörte, hatte Ftan diese ungeliebte Verbindung auf eigene Kosten wieder herzustellen. Während 15 Jahren wurden Prozesse gegen den Kanton geführt, die am Ende bedeutende Entschädigungen für die Gemeinde Ftan brachten. Heute wird die ruhige Lage abseits des Durchgangsverkehrs natürlich geschätzt.
Mitte des 19. Jahrhunderts begann im Unterengadin der Kurtourismus, mit der Erschliessung der Tarasper Mineralquellen, dem Bau der Talstrasse und des Kurhauses Tarasp in Nairs. Die Ftaner Mineralquellen wurden kaum genutzt, doch Baraigla war ein beliebtes Ausflugsziel, das Dorf Ftan natürlich auch. Hier wurde das sonnige alpine Klima bemüht, und Ftan wurde als Luftkurort angepriesen, vor allem das Hotel Victoria, das spätere Bellavista. Der Wintersporttourismus startete mit der Eröffnung von Sesselbahn und Skilift im Jahr 1970. Heute zählen die ruhige sonnige Lage, die Anbindung ans Wintersportgebiet Motta Naluns, die Langlaufloipe «Dario Cologna», aber auch schöne Wanderrouten und Bike-Trails zum Ftaner Angebot. Ziel ist ein stressfreier Ganzjahrestourismus.
Im Jahr 1793 hatte Pfarrer Andrea Rosius à Porta in seinem Heimatdorf ein Institut gegründet, für Knaben und Mädchen, Interne wie Externe, das rasch weitherum berühmt wurde und bis 1869 existierte. A Portas Lehrbuch „Il magister amiaivel“, nach einem Besuch bei Pestalozzi in Yverdon verfasst, zeigt seine fortschrittlichen Erziehungsmethoden. Mit der Eröffnung der Engadinerlinie der Rhätischen Bahn 1913 wurde eine AG für ein Töchterinstitut gebildet, das 1916 im neu erstellten Gebäude oberhalb des Dorfes eröffnet wurde. Im Jubiläumsjahr 1993 wurde es auch für Knaben zugänglich (für Externe bereits 1976), es wurde eine Sportklasse gegründet und der Name in Hochalpines Institut / Institut Otalpin Ftan umgewandelt.
Die Herleitung des Gemeindenamens Ftan ist unsicher. Nach der Anerkennung des Rätoromanischen als vierte Landessprache entschied sich der Bundesrat 1943 für die offizielle Schreibweise „Ftan“. Früher war die Gemeinde in drei Terzale eingeteilt, Ronsch und Padrus (beide in Ftan Grond) und Ftan (Ftan Pitschen). Die Gesamtgemeinde hiess Fetan, Fettan, Vetaun, V′taun oder Vettan. Die Etymologie dieses Namens ist nicht geklärt, es existieren verschiedene Deutungsversuche. Am wahrscheinlichsten ist die Ableitung von mittellateinisch „vettana“, was Schafweide bedeutet. In der Tat war und ist die Anzahl Schafe in etwa gleich wie die Einwohnerzahl. Ein Argument gegen die Festlegung des Namens Ftan war übrigens gewesen, Fetan sei für die Feriengäste leichter auszusprechen.
Wie fast alle Gemeinden im Unterengadin führte Ftan einen Steinbock im Wappen. Gerade als dieses seit langem ausgestorbene Tier langsam auch in Graubünden wieder Fuss gefasst hatte, wünschte der Kanton seine Ersetzung in möglichst vielen Gemeindewappen. So beschlossen die Ftaner 1949, einen Stierkopf zu platzieren, analog ihrem Übernamen «ils muojs da Ftan», der davon rührte, dass einst die zu kurz gesägten Balken für die Tasna-Brücke durch eingespannte Stiere in die Länge gezogen werden sollten. Die roten Sterne könnten für die beiden Ortsteile Ftan Grond und Ftan Pitschen stehen. Nach der Gemeindefusion von 2015 gilt der Springbrunnen von Scuol, laut einer Mehrheit von einer einzigen Stimme in der Volksabstimmung. Lokal darf der Stierenkopf weiter verwendet werden, der alte Steinbock ist noch auf der Fassade der Alp Laret zu sehen.
Text: Dr. phil. Paul Eugen Grimm, Historiker
Übersetzung Mario Pult
Fotografien aus privaten Archiven: Paul Eugen Grimm, Jon Padruot Cantieni, Linard Brüngger
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